LINGUISTISCHE KONSERVEN

Sprachen für die Ewigkeit


06. November 2002

Sascha Klein


Droht im Web-Zeitalter die allgemeine Anglisierung? Die Unesco stuft viele kleine, nur regional verbreitete Sprachen in ihrem "Rot-Buch" als gefährdet ein - so auch das Sorbische. Was tun, um sie zu retten? Das Rosetta-Project glaubt, eine Antwort gefunden zu haben - und ätzt bedrohte Sprachen in Nickel.
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In einer ersten Stufe wollen die Initiatoren des Rosetta-Project über 1000 Sprachen konservieren - unter anderem eben auch das Sorbische, die einzige wirkliche Minderheiten-Sprache in Deutschland.

Die Methode hört sich eigentlich recht simpel an: In das Online-Archiv des Rosetta-Project können User selbst Beiträge einstellen - ein idealistischer Ansatz, bei dem die "Rosettaner" darauf hoffen müssen, genügend und vor allem auch ausgewogene Zulieferung zu erhalten. Rosetta sammelt nämlich in zehn Kategorien, so etwa Textbeispiele in schriftlicher und akustischer Form, Karten- oder sprachanalytisches Material wie etwa grammatische Beschreibungen.

Idealistisch geht's auch weiter: Die Macher des Projekts setzen auf die Selbstregulierung des Netzes und rufen die muttersprachlichen User des Archivs auf, die eingestellten Beiträge zu bewerten. Daneben sollen aber auch namhafte Experten die Einträge überwachen und somit den - so auf den Rosetta-Seiten zu lesen - "hohen akademischen Standard des Datenbank-Materials" sichern.

"Aus micro mach nano"


Um die gewonnenen Daten möglichst dauerhaft zu sichern, wurde eine neuartige 3"-Nickel-Disk von sehr hoher Lebensdauer und Kapazität kreiert. Das Prinzip ähnelt den guten alten Micro-Fichen - altgediente Bibliothekengänger haben sicher die eine oder andere in Händen gehabt. Rosetta reduziert sie allerdings bis auf den Nano-Bereich: Die Texte werden analog als Bilder in die Nickel-Oberfläche eingraviert - bis zu 350.000 pro Disk.

Das Medium soll damit Plattform-unabhängig sein. Zum Lesen der Einträge braucht der Sprachinteressierte nicht etwa ein Laufwerk, sondern ein Mikroskop. Der kleine aber feine Daten-Träger ist natürlich nicht ganz billig: Die Produktion der Disk soll stolze 25.000 Dollar kosten, die durch Spenden zusammen kommen sollen. Um die linguistischen Konserven möglichst weit unter das sprachinteressierte Volk zu bringen, sollen die Disks später aber auch kostenlos an Einrichtungen gehen, die sich mit Sprachen beschäftigen.

Nachholbedarf für das Sorbische

Neben der Disk soll ein dickes Referenz-Buch erscheinen, und das Online-Archiv werde ständig weitergeführt und ausgebaut, so die Macher des Projekts. Dies scheint auch vonnöten: Bislang sind noch keine Audio-Sprachbeispiele im Archiv vorhanden. Auch ist die Anzahl der sonstigen Beiträge pro Sprache sehr

unterschiedlich: Das vergleichsweise wenig bedrohte Deutsche ist einigermaßen gut dokumentiert, das Sorbische hingegen nur minimal vertreten.

Dabei hätte es das Sorbische, das im Spreewald in Brandenburg und Sachsen gesprochen wird, durchaus nötig. In seinen beiden Varianten Obersorbisch (um Bautzen) und Niedersorbisch (um Cottbus) gehört das slawische Idiom zu den Sprachen, die die Unesco 1993 in ihrem Rot-Buch als bedroht eingestuft hat.

Heute wird Sorbisch von 40.000 bis 60.000 Menschen gesprochen und geschrieben. Bestrebungen, die einzige slawische Sprache und Kultur in Deutschland zu fördern, sind zahlreich. So gibt es etwa an den Universitäten Leipzig und Potsdam einen Studiengang der Sorabistik, und das Sorbische Institut kümmert sich seit Anfang der fünfziger Jahre um die Pflege sorbischer Sprache und Kultur. An Print-Publikationen mangelt es nicht. Auch im World Wide Web ist das Sorbische mittlerweile gut vertreten: Zahlreiche Internet-Projekte wie Online-Wörterbücher, Wortlisten oder Bibliographien dokumentieren die slawische Sprache. Die "Rosettaner" müssen nun auf Idealisten hoffen, die dies alles zuliefern und für die Ewigkeit archivieren.